Marlis Herterich: Aufgewachsen mit viel Politik – groß geworden mit Frauensolidarität

Am 13.07.1942 in Wuppertal geboren, stammt Marlis Herterich aus einfachen, aber nicht bildungsfernen Verhältnissen. Großeltern und Eltern hatten intensive Kriegserlebnisse, die Männer konnten durch Kriegsverletzungen ihre gelernten Berufe nicht weiter ausüben. Stark beeinflusst hat Marlis der Großvater, der zeitweise SPD-Mitglied und wie die ganze Familie immer SPD-Wähler war. Der Vater dagegen hatte sich von der Politik abgewandt, er hatte „zu viel gesehen“ als Sanitäter im 2.Weltkrieg. Lesen und Diskutieren waren in der Familie an der Tagesordnung. Marlis ging als gute Schülerin nach dem Realschulabschluss nicht den direkten Weg bis zum Abitur, weil ein Arzt das aufgrund einer Erkrankung für nicht möglich hielt. Die Ausbildung zur Buchhändlerin, sagt sie, sei jedoch erst recht anstrengend gewesen. Sie heiratete und bekam eine Tochter und blieb – bis auf eine überschaubare Unterbrechung – berufstätig. 1973 trat sie in die SPD ein (gleichzeitig das Geburtsjahr der ASF). Marlis wohnte mit ihrer Familie in Rondorf und war dort – noch vor der Eingemeindung nach Köln – bei den Jusos und der ASF aktiv. Nach einem halben Jahr bereits wurde sie Vorsitzende der ASF. Nach der Eingemeindung Rodenkirchens im Jahr 1975 und der Neugründung der Bezirksvertretung fiel bei der Versammlung zur Listenaufstellung auf, dass keine Frau bei den Vertretern war. So kam sie ganz überaschend auf Platz 1 der Liste. Durch dieses Engagement hat sie dann Günter Herterich, viel später ihr zweiter Mann, kennengelernt.  Auf seine Initiative, damals als Fraktions- und Parteivorsitzender, kam schon 4 Jahre später ein Listenplatz für den Rat zustande (ein Wahlkreis war nicht mehr frei) . Herterich wollte den Frauenanteil in der Fraktion erhöhen.  „Herterich hat Frauen für die Politik gesammelt“, formuliert Marlis mit Augenzwinkern. Sie zählt einige auf: Renate Canisius, Helga Schlapka, Gepa Maibaum, Christa Becker. Durch den Verlust des Wahlkreises einer anderen Kandidatin kam sie sofort in den Rat, wo sie von nun an 10 Jahre lang arbeitete. Anschließend hatte sie eine mehrjährige Pause, dann war sie (1994 – 2004) wieder dabei.  Inzwischen war sie auch stellvertretende AWO-Geschäftsführerin. Ihr dort entstandener guter Ruf führte wohl dazu, dass Rüter sie zur Fraktionsgeschäftsführerin wählen ließ. Sie wusste aber da noch nicht, dass die Kölner SPD vor einer großen Krise  stand (Spendenaffaire).  Marlis Herterich  bezeichnet ihre Arbeit im Rat insgesamt als äußerst spannende Zeit. Sie erinnert sich gut an ihre erste Rede im Rat in den 70er Jahren: Die Frauen forderten eine Gleichstellungsstelle in der Verwaltung. „Es war richtig schwere Arbeit, mit den Männern über das Thema zu reden“, sagt Marlis. Schon in der SPD war es schwierig genug, erst recht in den anderen Fraktionen. Marlis beschreibt die Situation beim Gespräch über Gleichstellung: „Die Männer lehnten sich zurück und bekamen Stammtischgesichter“. Besser kann man es, denke ich, nicht beschreiben.

Marlis berichtet, dass in dieser Zeit die Frauen über Fraktionsgrenzen hinweg oft zusammengearbeitet haben, anfangs vor allem mit der FDP. Die ist der SPD dann sogar beim Gleichstellungsantrag zuvorgekommen, erinnert sie sich. Man nahm es hin im Sinne der Sache: „Egal von wem – Hauptsache es gelingt“. Marlis freut sich heute noch, dass es zu dieser Zeit große Solidarität unter den Frauen gab. Die Männer waren entsetzt und beunruhigt darüber (fühlten sich in ihrer Parteiwirkung bedroht?), schließlich zog sich als erste die CDU aus den Gemeinsamkeiten zurück. Marlis fügt an, dass ihre Generation für die Männer schwieriger und anstrengender war als die heutigen Frauen es für die Männer sind. Was sicher auch daran lag, dass so viel in der Frauenpolitik gefordert wurde. So war1973 eine ihrer ersten Veranstaltungen als ASF-Vorsitzende zum Thema „Equal Pay “  „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – ein Gedanke, der theoretisch allen einleuchtete, aber praktisch riesigen Wirbel verursachte und die Männerwelt aufwühlte.

Der Pay Gap ist geblieben, auch 50 Jahre später noch, es bleibt noch viel zu tun!

 

Marlis, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Monika Kirfel im März 2024