Gaby Hammelrath: Nicht der Mann ist der Maßstab – Wir Frauen wissen selbst wie Politik geht

 

 

Mitten in Ehrenfeld zu wohnen kann sein wie in der Toskana: Gaby Hammelraths Haus befindet sich in einem großen Innenhof, blickt ins Grüne und vermittelt der Besucherin, in Italien zu sein: Ein langes Spalier aus Topfpflanzen führt zur Terrasse, dahinter das Backsteingemäuer des alten, großzügig gestalteten Hauses. „Es war eine alte Schmiede, bevor es zu Wohnraum umgebaut wurde“, erzählt Gaby. Dass bei unserem Gespräch auch die Sonne scheint, passt zu der Umgebung.

Gaby erzählt: 1953 ist sie in Leverkusen-Rheindorf geboren, in dörflicher Umgebung, wie sie sagt. Aber das Dörfliche galt nicht für ihr Elternhaus,  ihre Familie: es war ein sehr offenes Haus, beide Eltern extrovertiert; es wurde sehr viel und gern diskutiert. Gaby berichtet, dass sie auch sehr stark geprägt wurde von ihrer Großmutter, die in christlicher Tradition lebte und sehr gebildet war. Von ihr habe sie die Grundhaltung „geerbt“, dass man für die Gesellschaft, in der man lebt, selbst etwas tun muss. Der Vater war neben seinem Beruf Vorsitzender in einem Sportverein, also auch immer in gesellschaftliche Aktionen eingebunden, so hat sie auch von ihm die soziale Grundhaltung gelernt.

Ihre schulische Erziehung verlief sehr katholisch: Neun Jahre verbrachte sie im Marianum Opladen (heute Marienschule), einer von Nonnen geführten Mädchenschule. Gaby bilanziert: Ihre Jugend war durch zwei Aspekte bestimmt: Von zu Hause her die sehr offene, diskussionsfreudige Haltung, in der Schule die sehr reglementierte, enge Welt. Und in der Welt „da draußen“ fanden gleichzeitig die Studentenproteste statt. Dies fand schließlich auch Niederschlag in der Schule, sie besuchte die sogenannte „Reformierte Oberstufe“, war mit einigen anderen Schülerinnen politisch sehr aktiv und bald stellvertretende Schulsprecherin. Sie sagt, es war eine tolle Zeit, das politische Bewusstsein wuchs schnell, aber es war nicht üblich, derart politisiert in der Schule zu handeln. Beinahe hätte sie die Schule verlassen müssen, aber auch ihre guten Noten trugen dazu bei, dass sie das Abitur an dieser Schule machen konnte – trotz ihrer Aufmüpfigkeit. Sie hatte verstanden, dass die Schule nicht an ihr vorbei kam, wenn sie gute Leistungen brachte. Und das konnte sie! Sie sagt, sie wurde leistungsstark aus Widerstand, um zu überleben.

Sie begann ihr Studium der Diplom-Pädagogik für Erwachsenenbildung  und erhielt schnell das Vordiplom. An der Universität war sie nicht politisch aktiv, sie hatte nicht die Zeit, denn sie finanzierte ihr Studium selbst, indem sie in einer halben Stelle am Gymnasium unterrichtete: Am Marianum Opladen – das war ihr ein besonderes Vergnügen – es war  genau die Schule, die sie beinahe rausgeworfen hätte. Mit 21 ist sie erst zu Hause ausgezogen, sie wurde vorher zu sehr gebraucht: Schon mit 16 hatte sie ihre schwer kranke Mutter gepflegt, der Vater hatte eine Fahrschule und brauchte viel Unterstützung im Haus.

Früh war sie Mitglied der ÖTV geworden, dann trat sie mit 24 auch in die SPD ein. Sie erinnert sich an Ortsvereinssitzungen Innenstadt in übervollen Sälen: 150 Leute waren keine Seltenheit. Es war eine hochpolitische Zeit. Und wie es damals den Frauen erging: keiner begrüßte sie, keiner sprach sie an. Aber sie hielt durch. Erst deutlich später, im Ortsverein Nippes, hat sie dann mit den anderen zusammen vieles in die Wege leiten können.

Beruflich hatte sie in einer Unternehmensberatung angefangen, dann hat sie für die VHS gearbeitet und die Zweigstelle in Nippes mit aufgebaut. Hier ist sie dann auch der SPD wieder näher gerückt durch den aktiven Ortsverein Innenstadt, dem sie inzwischen angehörte. Sie traf zum Beispiel auf Marlu Quilling und Almuth Eichner, die sie in die ASF mitnahmen. „Knallerweiber waren das damals in der ASF“, formuliert Gaby. Sie wurde bald überredet mehr zu machen und war schnell im Vorstand. Ihrer Meinung nach wurde in der ASF von der Mehrheit zu wenig getan. Es reichte Gaby nicht, dass man sich „über Männer beschwerte“, das war ihr zu larmoyant. Sogar im Express wurde über ihre Kampfkandidatur berichtet: „Rauterkus gegen Hammelrath“. Es erfolgte der Politikwechsel mit ihr, die Themen wurden politischer und konkreter: Um die Gleichstellungsstelle bei der Stadt wurde (erfolgreich) gekämpft, „Lobby für Mädchen“ wurde in seiner Gründung unterstützt, ein zweites Frauenhaus wurde geplant und die Idee des Frauennachtbusses  entwickelt. Alles erfolgte im engen Schulterschluss mit den großartigen Ratsfrauen der SPD. Die waren genauso aktiv und initiativ; dazu waren sie über die Fraktionsgrenzen hinaus gut vernetzt. Lie Selter von der Verwaltungsseite war auch immer dabei (siehe auch Interview Lie Selter). Die ASF spielte erfolgreich über die Partei.

Gaby erzählt eine Anekdote aus dem Kommunalwahlkampf: Die ASF-Vertreterinnen brachten zahlreiche Anträge auf dem Parteitag ein: Es ging um Ganztagsschule, Kita-Plätze und Gesundheitsversorgung. Kurt Uhlenbruch war damals Parteivorsitzender, Heugel Fraktionsvorsitzender und Henseler Sprecher des linken Kreises. „Alle drei Willi Wichtig“, sagt Gaby. Als die zahlreichen Anträge eingebracht waren, fragte einer der drei: „Seid ihr jetzt fertig?“. Auf das „Ja“ folgte dann der Satz: „Dann kommen wir jetzt endlich zur Politik“. Übrigens: Alle Anträge der ASF sind damals angenommen worden.

Gaby bilanziert die Gründe für den Erfolg:

  • alle waren vernetzt, Mehrheiten wurden vorher gesucht
  • die Anträge stammten aus den konkreten Lebensbedürfnissen der Frauen, es waren keine „Ideologie-Anträge“
  • es existierten strategische Bündnisse – auch mit den Männern

„Keine Anträge von folgenloser Richtigkeit“ seien damals gestellt worden, dies sei auch ein Tipp, den sie gern der nächsten ASF-Generation mitgeben möchte.

Gaby entschied sich für eine Zeit des Pausierens wegen der Geburt ihres Kindes.  Anschließend begann sie im OV Ehrenfeld wieder mit der politischen Arbeit: Der Ortsverein war immer schon aktiv gewesen. Er hatte das BüZe mit entwickelt und den Ehrenfelder Verein für Arbeit gegründet. An solche Traditionen wurde angeknüpft und eine rege Ortsvereins-Arbeit entwickelt: Es gab zweitägige Vorstandsklausuren, Pfingsten wurde eine politische Städtereise gemacht, an Wochenenden fanden Fortbildungen statt, sogar Fahrradtouren in der Umgebung gehörten zum Programm. Und das Ganze auch immer mit Kindern, Parteiarbeit in der SPD war mitten im Leben.

Gaby berichtet, dass jedoch dann die Stimmung in der SPD kippte. Es folgte eine problematische Zeit. Skepsis und Querelen nahmen zu. Die Idee einer Werbeagentur, wie bei der Obamawahl vorzugehen (jedes Parteimitglied bringt zwei Wähler mit), hatte nicht gezündet. Landes- und Bundesebene (Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel) rissen die Sache auch nicht mehr heraus. Es warnen unterschiedliche Gruppierungen in der Partei entstanden, die nicht zusammen fanden.

Gaby sagt, zu der Zeit sei sie beruflich gestählt gewesen, sie war inzwischen Leiterin des Amtes für Weiterbildung. Aber in der Partei war die Lage schwierig. Die Wahlergebnisse waren konstant schlechter geworden, der Abstand zu den Grünen wurde übel genommen. Kurzfristig wurde Gaby dann zur Landtagskandidatur aufgefordert und auch zweimal direkt gewählt. In der Landtagsfraktion war sie für Bildung und Wissenschaft zuständig. Sie sagt, es sei im Hochschulbereich viel erreicht worden: die Verstetigung von Fördergeldern, das Projekt „Gute Arbeit an Hochschulen“, im Wissenschaftsforum ergaben sich gute Verbindungen in die Hochschulen hinein.

Der Bereich „Schule“ war Gabys Meinung nach aber viel schwieriger: Inklusion war ein Projekt, das nicht voran kam, genauso die Ganztagsschule, die Verkürzung der Schulzeit.  Im Bereich Schule sind ihrer Meinung nach große Fehler gemacht worden, die leider trotz intensiver Diskussionen mit der damaligen Ministerin Löhrmann von den Grünen nicht korrigiert wurden und die bis heute vor allem zu Lasten der Familien gehen.

Auf die Frage, was heute in der Frauenpolitik zu tun sei, meint Gaby:

Immer noch müssen Frauen motiviert werden, an ihren Erfolg zu glauben und darum zu kämpfen. Sie sei immer eine Verfechterin der Quote gewesen und dadurch wurde auch einiges erreicht. Aber ihre Sorge ist, dass die gläserne Decke immer noch vorhanden ist, wenn auch leicht verschoben. Das Problem fängt nach der Ausbildung für die jungen Frauen an und wird gnadenlos in der Familienphase. Man sehe es heute noch deutlich und das „mache sie fertig“. Es sei ein grundlegendes strukturelles Problem: Junge Frauen erleben, dass sie in Schule und Studium oft besser sind als die Männer, dass sie die besseren Abschlüsse erhalten. Aber in der frühen Familienphase bleibt ihnen keine Handlungsmöglichkeit mehr, die Männer überholen sie (während des „genetischen Boxenstopps“).

Doch Gaby sagt: Das Problem hat zwei Beteiligte: Auch die Männer selbst müssen mehr Familie wollen. Aber dahin wird gesamtgesellschaftlich bisher nicht erzogen, nicht in der Familie, nicht in der Schule, nicht in der Berufswelt oder der Medienöffentlichkeit.

Sie erzählt: Als ASF-Vorsitzende hat sie einmal auf einem Bundeskongress den Vortrag einer toughen jungen Professorin erlebt. Deren Hauptthese hält sie für ungeheuer wichtig:

Der Kampf der Frauen um gleiche Geltung im Beruf und in der Öffentlichkeit ist richtig, aber er darf sich nicht an einem männlichen Superbild orientieren. Wer entspricht überhaupt dem Superbild des erfolgreichen Berufstätigen, wie er durch die Medien geistert?. Der Mann ist nicht der Maßstab. Die Frauen müssen selbstbewusster in ihrem Anspruch werden, auch wenn sie nicht diesem Superbild entsprechen. Frauen haben einen Anspruch darauf, dass ihre Situation berücksichtigt wird und man sich nicht am Mann orientiert, der die Familienbetreuung gern als Sonntagsvergnügen betreibe.

Dies möchte sie als Hauptimpuls der nächsten Frauengeneration mitgeben.

Sie sagt zum Abschluss, wie wichtig es ihr ist, dass sie immer Frau geblieben ist, sie habe sich nicht wie ein Mann verhalten, das Zeichen dafür seien ihre roten Fingernägel, die die immer trage, ihr äußeres Zeichen für die selbstbewusste Frau.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Monika Kirfel im Februar 2024