Beitrag unserer Kölner Genossin Zeynab Harati im Newsletter (10/24) des SPD Frauen-Bundesvorstands
In der heutigen Gesellschaft sind die Diskussionen über die Rolle und den Wert der Frau von großer Bedeutung. Die Geschichte zeigt, dass revolutionäre Umbrüche oft als Chance gesehen werden, tief verwurzelte gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu überwinden. So wie die „Mütter des Grundgesetzes“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland für die Gleichberechtigung kämpften und erfolgreich die rechtliche Grundlage für die Emanzipation der Frauen schufen, hofften auch viele Frauen und Intellektuelle im Iran, dass die Islamische Revolution von 1979 eine ähnliche Wende bringen könnte. Sie träumten von einer Gesellschaft, in der Frauen aktiv an der politischen und sozialen Neugestaltung teilhaben und ihre Rechte erweitern könnten. Doch während die „Mütter des Grundgesetzes“ langfristig einen entscheidenden Schritt in Richtung rechtlicher Gleichstellung in Deutschland erreichten, verlief die Entwicklung im Iran anders: Trotz anfänglicher Hoffnungen führten konservative Kräfte letztlich zu einer weiteren Einschränkung der Frauenrechte. Dennoch bleibt die Geschichte beider Ereignisse eine Quelle der Hoffnung für die Frauen im Iran und weltweit. Sie zeigt, dass auch in Zeiten großer Umbrüche der Kampf für Gleichberechtigung fortgeführt werden kann und Frauen die Kraft haben, den Wandel ihrer Gesellschaft zu gestalten – so wie es einst in Deutschland gelungen ist.
Eine Gesellschaft kann sich nur gut entwickeln, wenn die Menschen die Freiheit haben, sich zu entfalten, ihre Ideen und Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen und an kollektiven Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Dies ist nur möglich, wenn Frauen sich genauso gut entwickeln können wie die Männer.
Ali Shariati war ein bedeutender iranischer Intellektueller und revolutionärer Denker, der sich intensiv mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandergesetzt hat. Wesentliche Themen sind die Freiheit, die soziale Gerechtigkeit und die Stellung der Frau. Er war der Meinung, dass Frauen eine entscheidende Rolle bei der Transformation der Gesellschaft spielen, besonders in Bezug auf die islamische Revolution und die Befreiung vom Kolonialismus und der Unterdrückung. Die Frau gilt als Symbol der Freiheit und des Widerstands: Seine Vision von der Frau als aktive Gestalterin einer gerechten Gesellschaft hat bis heute Einfluss auf das feministische und intellektuelle Denken im Iran. Hier werden zwei Kritikanasichten diskutiert.
Kritisch sind sowohl das Bild der Frau im Kapitalismus als auch in der traditionellen östlichen Kultur. Der Kapitalismus betrachtet die Frau als Werkzeug und ihre Rolle ist auf die äußere Erscheinung und die wirtschaftliche Rolle reduziert. Der Wert der Frau wird nicht selten durch kapitalistische Mechanismen verfälscht, indem ihr Körper und ihre Präsenz zu einem Konsumobjekt gemacht werden. Dies steht im Widerspruch zu den ethischen und humanistischen Idealen, die den Menschen als ein Wesen mit Würde, Verantwortung und innerer Tiefe betrachten. Er kritisiert auch scharf die traditionelle Rolle der Frau in den islamischen Gesellschaften. Hierbei muss auf die negativen kulturellen und traditionellen Rückschritte sowie auf die Entbehrung, Herabwürdigung der Frauen in den islamischen Ländern und den passiven Umgang mit dieser Situation hingewiesen werden. Seine Kritik an beiden Typen, der religiösen und der modernen Frau, ist aus existenzieller Sicht dieselbe.
Die „Mütter des Grundgesetzes“ waren vier Frauen, die eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung des deutschen Grundgesetzes 1948-1949 spielten. Sie waren Teil des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz entwarf. Diese Frauen setzten sich besonders für die Gleichberechtigung der Geschlechter in der neuen Verfassung ein. Die vier „Mütter des Grundgesetzes“ waren Elisabeth Selbert (SPD), Frieda Nadig (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum). Elisabeth Selbert war Juristin und gilt als eine der entscheidenden Kräfte hinter dem berühmten Artikel 3, Absatz 2, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festschreibt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Frieda Nadig war Sozialpolitikerin, die sich ebenfalls stark für die Gleichberechtigung und der sozialen Sicherheit für Frauen einsetzte. Helene Weber setzte sich auch für Frauenrechte sowie soziale Fragen im Parlamentarischen Rat ein. Helene Wessel war die einzige Frau des Zentrums und trat für soziale Gerechtigkeit und die Rechte der Frau ein.
Diese Frauen haben entscheidend dazu beigetragen, dass Frauenrechte auf nationaler und europäischer Ebene gestärkt wurden. Die Herausforderungen der Frauen im Iran heute spiegeln die historischen Kämpfe der „Mütter des Grundgesetzes“ wider, und die Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft bleibt lebendig.