Anke Brunn – Man muss ein Fundament zum Durchstehen haben

Interview Anke Brunn

Februar 2024

‚Man muss ein Fundament zum Durchstehen haben‘

Man kann sehr viel von ihr lernen. Anke Brunn, mehrfache Ministerin, Vorbild und Vorreiterin. Wie oft war sie einzige, jüngste oder erste Frau als Politikerin, Ministerin, Genossin? Es muss häufig gewesen sein. Aber nicht immer. Sie legt Wert auf die Feststellung, dass sie nicht die erste, sondern die zweite Bezirksvorsitzende der ASF im Bezirk Mittelrhein gewesen ist: vor ihr war es Else Schmidt, Bürgermeisterin der Stadt Köln. Nach ihr kam Bärbel Diekmann, später Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn.

Die Zusammenfassung des Gesprächs soll einen Blick auf eine der ersten ASF-Frauen in Köln werfen. Und diese Geschichte fängt so an:

Hinter jeder starken Frau stehen eine starke Mutter und Großmutter, so auch bei Anke. Ihr Vater war im Krieg gefallen. Die Mutter heiratete erneut, der Stiefvater starb Anfang der 70er Jahre, als die Mutter Mitte 50 war. Was macht man als Mutter da? Nachdem sie ihre Promotion in Hamburg nicht hatte zu Ende bringen können, fing sie zwei Jahrzehnte später in Berlin neu an, übernahm eine Sekretariatsstelle an der TU, studierte dort Politikwissenschaften und vertiefte sich in das Werk von Karl Marx. Untypisch vielleicht, doch Ilse Wulf war auch ein Beispiel für die Frauen ihrer Generation, deren Lebensweg durch den Krieg brutal unterbrochen wurde und die dennoch nicht aufgaben, sondern neue Wege gingen.

Drei Faktoren ragen bei dieser Familiengeschichte heraus: international geprägt, in der Fremde gelebt (in Frankreich und Brasilien, Mutter und Großmutter in Chile) und dadurch Fremdes erlebt und manches davon zu Vertrautem gemacht zu haben. Zum anderen zeigt ihr die Familie: Frauen mussten und wollten fast alles können, allemal mehr als die Konventionen ihnen zudiktierten. Der dritte Faktor: das Familienleben ist politisiert, und es schadet keineswegs, wenn das Debattieren schon zu Hause beim Schachspiel gelernt wurde.

„Demokratie wagen“ nach dem Vorbild von Willy Brandt wörtlich nehmen

Aus persönlicher Betroffenheit handeln, die Thematik verfolgen, systematisch weiterentwickeln und den Zustand verbessern. So kann man die Entstehungsgeschichte vieler ihrer Erfolge beschreiben. Ein schöner ist das Beispiel Kindergarten: Anke studierte, war schwanger und gründete zusammen mit anderen 1965 als Elterninitiative einen Uni-Kindergartenverein. Als Abgeordnete formulierte sie ein Kindergartengesetz, das 1971 im Landtag einstimmig beschlossen wurde. Mit diesem Gesetz stand NRW damals an der Spitze. Damit reiste sie für die SPD über das Land und erlebte sehr viel Zuspruch. Offensichtlich hatte sie den Nerv der Zeit getroffen.

Nach ihrem Brasilienaufenthalt und ihrem Examen als Diplom-Volkswirtin sozialwissenschaftlicher Richtung arbeitete sie ab 1966 im Rechenzentrum der Universität Köln. Schon allein das machte sie zu etwas Besonderem: jüngste und einzige Frau im wissenschaftlichen Personal. Und dann noch ein Kind, an der Uni. Als Angestellte an der Uni musste Anke für das Kindergeld kämpfen. Heute unglaublich, damals Anlass, in die Gewerkschaft einzutreten.

Anke wurde 1970 mit 27 Jahren in den Landtag gewählt, war bundesweit jüngste Abgeordnete. Nicht nur beim Kindergartengesetzt konnte sie auf eigenes Engagement und eigene Erfahrung zurückgreifen, auch beim ersten NRW-Datenschutzgesetz.

1973 gründet sich in der SPD die ASF. Anke engagiert sich von Anfang an, gehörte zur linken Gruppe, die Diskussion um den § 218 kochte auf Höchsttemperatur. Während ihrer Zeit als AsF-Bezirksvorsitzende ging es ihr vor allem darum, mit den Frauen des Bezirks Positionen zu erarbeiten – z. B. zur eigenständigen Alterssicherung der Frau, zur Abschaffung des Splittings, zu einer zeitgemäßen Familienpolitik – und diese Positionen in die Partei einzubringen, zu zentralen Debatten-Themen zu machen. Ebenso ging es darum, die Landesfinanzierung der Frauenhäuser durchzusetzen und um lokale Themen wie Frauenbeauftragte. Die Quote lehnte sie anfangs ab, wollte Teilhabe lieber erkämpfen statt als Geschenk annehmen. Später unterstützte sie die Quote. Ihre heutige Bewertung: Die Quote fördert einen Lernprozess. Sie ermöglicht den Schritt zur ‚Normalität der Frau‘ im politischen Raum. Frau ist heute, auch durch die Quote, keine Ausnahme mehr.

Und dennoch: das Thema „Frau“ hat sie „auch“ interessiert, aber nie ausschließlich. Für Anke ist es Teil einer zukunftsorientierten Gesamtpolitik, die sie mitgestalten wollte, in der SPD, als Abgeordnete und in Regierungsverantwortung in Berlin (1981) und in NRW (1985 – 1998)

Als Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW hatte sie die große Chance, viel zu bewegen – vom Netzwerk Frauenforschung bis zum Ausbau der Informatik-Studiengänge  und der Datenverarbeitungs-Infrastruktur, vom „Aktionsprogramm Qualität der Lehre“ bis zur Profilierung des Forschungslandes NRW. Im Netz sind noch immer ihre 11 Thesen für ein Studium ohne Gebühren zu finden.

Und heute? Die Diskussion um das Gendern steht bei vielen im Vordergrund. Anke hat dazu eine glasklare Sicht: „Streit um das Gendern polarisiert unnötig, lenkt ab von wichtigeren Themen und den fortbestehenden Machtverhältnissen“. Wie wahr! „Lasst Menschen sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Nehmt bitte Rücksicht auf einander. Das muss in alle Richtungen gelten.“

Mehr lesen:

  • Hans Herrmann Kotte: „Anke Brunn“ in: „Die Achtundsechziger – Biographien zur Geschichte der Bewegung“, Projekt der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

Das Interview hat Angelika Christ geführt.